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Geschichte des Amtsgerichts Bremervörde

150 Jahre Amtsgericht Bremervörde im Oktober 2002


Auf eine 150-jährige Geschichte kann in diesem Jahr das Bremervörder Amtsgericht zurückblicken. Bedingt durch den Wechsel im Direktorenamt wurde von einer Feier Abstand genommen. Im folgenden soll nicht nur die Geschichte des Amtsgerichts geschildert werden, sondern auch auf die Situation der Gerichtsbarkeit in den Jahren vor 1852. Basis der Schilderung ist ein Vortrag des verstorbenen Amtsgerichtsrats Hans Heffe aus Anlass des 100-jährigen Bestehens. Seinen Rückblick fertigte er mit Unterstützung des Bremervörder Kreiskulturpflegers August Bachmann an.

Mit dem Geburtstag des Amtsgerichtes am 1. Oktober 1852 wurde keineswegs die Gerichtsbarkeit in Bremervörde begründet. Vielmehr bedeutet dieser Tag nur die Trennung der Justiz von der Verwaltung. Bis dahin war die untere Justiz mit der Verwaltung im königlichen Amte vereinigt gewesen.

Das Amtgericht ist also nur die Fortsetzung der beim königlichen Amte der hannoverschen Zeit, dem Amte der Schwedenzeit ausgeübten Gerichtsbarkeit. Sie geht weiter zurück auf die frühere Epoche der Gerichtshoheit des bremischen Erzbischofs als Landesherrn. Diese Gerichtsbarkeit war damals das Zentralrecht, um die sich die landesherrlichen Rechte gruppierten.

Die Quellen der ältesten Zeit sind spärlich vorhanden. Das Gebiet um Vörde kam um 1218 als Bestandteil der alten Grafschaft Stade endgültig zum Stift des Erzbischoffstum Bremen. Der im Jahre 1236 zwischen dem Erzbischof Gerhard II. und dem Herzog Otto von Lüneburg abgeschlossene Vertrag legte bereits den Gebietsumfang des Stiftes so fest, wie er bis zum Beginn der Schwedenherrschaft geblieben ist. Er umfasste etwa den größten Teil des früheren Regierungsbezirks Stade.

Für die damalige Zeit darf man daher annehmen, dass die Gerichtsbarkeit des erzbischhöflichen Vogtes zu Vörde weit über das Weichbild der Burg und des Fleckens hinausgegangen ist. Die ausführliche urkundliche Quelle ist allerdings erst das unter dem Bremer Erzbischof Johann Rohde im Jahre 1498 begonnene und etwa gegen 1500 fertiggestellte sogenannte "Vörder Register", das die Bezirke des Stiftes Bremen und die landesherrlichen Befugnisse umreißt.

Das Vörder Register beschrieb im Machtbereich der Vogtei - später Amt - Vörde den Bezirk, in dem der Amtmann Gericht hält und aus welchem dem Amt ein Teil der Gerichtsbußen zufließt. An einzelnen Bezirken sind dabei aufgeführt: die Börden Oerel, Lamstedt, Mulsum, Bargstedt, Ahlerstedt, Oldendorf, Selsingen, Heeslingen, Sittensen, Elsdorf und Altenwalde, ferner der große Marschbezirk mit den Gerichten in den drei Kirchspielen Osten, Großenwörden und Horst, dem Gericht Vieland und dem Lande Wursten.

Die betreffenden Register erwähnen die "Broke uth der Husvogedie". Das erinnert an die heute noch in Bremervörde unter dem Namen "Gerichtsherrenbrücke " verlaufende Ostebrücke, die mit ihrem Namen weiter die Erinnerung an das damals dort abgehaltene Gericht, vielleicht auch in bezug auf die von den Gerichtsherren geleistete Brückenunterhaltung, wachhält

Für den Ausgang der erzbischöflichen Zeit ist festzustellen, dass Bremervörde größere Selbständigkeit in der Gerichtsbarkeit gewonnen hatte. Seinen Bürgermeistern stand die niedere Gerichtsbarkeit und die Voruntersuchung der schweren Straffälle zu, welche auf dem tagenden Bürgergericht unter dem Vorsitz des Stadtvogtes zur Aburteilung gelangten. Noch im 18. Jahrhundert wurden die Landgerichte in der Gerichtsstube des damaligen Fleckens Bremervörde abgehalten.

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Ein vor etwa 50 Jahren aufgefundener und seiner Entstehungszeit nach bereits auf das 14. Jahrhundert zurückzuführender Kodex für den Ort Vörde lässt mit gewisser Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass der Ort für das 13. und 14. Jahrhundert über eine eigene, einer selbständigen Stadt entsprechende Gerichtsbarkeit verfügte, wovon allerdings im Vörder Register um 1500 keine Rede mehr ist.

Um das Jahr 1500 also lag die Leitung der einzelnen Gerichte des gesamten Stiftes Bremen in den Händen der Vörder Beamten, die Findung des Urteils dagegen bei den Gerichtsgemeinden.

Im 17. Jahrhundert bis zum Ausgang der erzbischhöflichen Zeit hielten die Beamten zu den Landgerichten eine bestimmte Route ein. Die Landgerichte zu Selsingen, Heeslingen, Sittensen und Elsdorf wurden vom Kloster Zeven aus aufgesucht. Der Termin der gewöhnlichen Landgerichte, auch Goding genannt, wurde von ihnen nach Belieben bestimmt und vorher durch die Vögte bekannt gemacht. Außer diesen gewöhnlichen Landgerichten wurden Notgerichte so oft als nötig abgehalten, z. B. dann, wenn ein Totschlag begangen oder ein Verbrecher bei handhafter Tat ergriffen worden war.

In der Glanzzeit Bremervördes, der erzbischöflichen Zeit, wurde weit über die heutigen Grenzen bis in die Marschländer die Gerichtsbarkeit von dem Vörder Amtmann wahrgenommen. Es heißt von ihm in authentischen Quellen, dass er auch im Lande Wursten, nachdem es 1525 in die Hand des Erzbischofs zu Bremen gefallen war, zu den dortigen Landgerichten erschien.

Von wesentlicher Bedeutung für die Stellung des Landdrosten oder Amtmanns zu Vörde ist ferner, dass er Vorsitzender des Botting zu Stade war. Das Alte Land und das Land Kehdingen hatten nämlich in ihrem Gerichtswesen trotz selbständiger Verwaltung ihre höchste Instanz im Botting zu Stade. Das Vörder Register nennt das zu Stade abgehaltene Botting wie folgt: "De botting ist dat höchste Gericht des Stichtes von Bremen, dar alle Richte in den Niederlanden inflethen un thoflugt hebben, als Kehdinger, Oldenlander un wat in dem baden botting geschütt by der Osten, ofte war das sy, dat straften de amtlude to Vörde".

Hieran kann man den Niedergang der Bedeutung Bremervördes zu Beginn der Schwedenherrschaft ermessen, die die Verwaltung und gleichzeitig die hohe Gerichtsbarkeit von Bremervörde nach Stade verlegte. Die Schwedenherrschaft brachte überdies durch die Schenkungen der Königin Christine zwischen 1646 und 1652 von Gerichten, Klöstern und Gütern eine Gebiets- und Rechtsminderung des Amts Bremervörde, dessen Umfang schließlich auf den Flecken und die alte Börde Oerel sowie die Börde Lamstedt beschränkt wurde.

Mit dieser "Kleinen Größe" kam das Amt dann im Jahre 1715, endgültig durch den Friedensschluss von Stockholm im Jahre 1719, zu Kurhannover. Das Amt war nun nur noch als Untergericht für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen kleinerer Bedeutung und für einige Verrichtungen in Strafsachen tätig. Die hannoversche Zeit brachte zunächst für das Bremervörder Gebiet keine Besonderheiten. Der durch die Nöte des 30.jährigen Krieges fast völlig vernichtete Flecken Vörde und die schwach besiedelten Dörfer konnten dem Amt keine Bedeutung verleihen. In das 18. Jahrhundert jedoch fällt die von der Regierung zu Hannover geförderte Arbeit des Moorkolonisators Jürgen Christian Findorff. Sein Werk füllte den menschenleeren Raum und ließ ganze Dörfer entstehen.

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Die nächste entscheidende Änderung im Gerichtswesen entstand erst unter den Eindrücken der revolutionären Bestrebungen des Jahres 1848. Das Verfassungsgesetz für Hannover vom 5. September 1848 sah die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, die Aufhebung des bevorzugten Gerichtsstandes, die Mündlichkeit und Öffentlichkeit in bürgerlichen und peinlichen Sachen, sowie die Einführung von Schwurgerichten vor. Auf dieser Grundlage wurden in Hannover die Justizgesetze des Jahres 1850 erlassen, die teilweise für die künftige Gesetzgebung in Deutschland maßgebend wurden. Untere Gerichte waren nunmehr die Amtsgerichte, die Obergerichte bildeten die Mittelinstanz, oberste Instanz blieb das Oberappelationsgericht in Celle, unser heutiges Oberlandesgericht.

In Ausführung des Verfassungsgesetztes von 1848 und des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1850 erließ König Georg V. von Hannover dann am 7. August 1852 die Verordnung, die die Bildung der Amtsgerichte und der unteren Verwaltungsbehörden betraf. In der Anlage dieser Verordnung ist für den Landdrosteibezirk Stade das Amt Bremervörde und das Amtsgericht Bremervörde aufgeführt. Diese Verordnung trat am 1. Oktober 1852 in Kraft.

Die Bildung der selbständigen Gerichte war - aus der damaligen Zeit heraus beurteilt - eine revolutionäre Reform, die einen aus der alten Zeit überkommenen, den modernen Grundsätzen aber nicht mehr entsprechenden Zustand beseitigte. Das Amtsgericht befand sich zunächst im Landratsamt an der Amtsallee. Es dauerte noch etliche Jahre, ehe 1897 die Baumittel im preußischen Staatshaushalt aufgenommen wurden.

Den Auftrag für den Neubau erhielt die Baufirma Gebrüder Knackstedt aus Geestemünde. Standort für das Gericht wurde der Garten neben dem alten Gerichtsgefängnis. Im Jahre 1898 konnte das neue Amtsgerichtsgebäude eingeweiht werden. Ein Jahr später kam das Gerichtsgefängnis und eine Einfriedungsmauer dazu, erbaut von dem Bremervörder Bauunternehmer Diedrich Burfeind.

Das Jahr 1866 brachte für Gericht und Gerichtsverfassung keine wesentlichen Änderungen; Preußen behielt die bewährten Reformen bei. Im Zuge der großen, für das seit 1871 bestehende Deutsche Reich erfolgenden Gesetzgebung erlebte das Amtsgericht 1871 die Einführung des Strafgesetzbuches, das von Änderungen abgesehen, noch heute gilt. Das Jahr 1877 brachte die Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Zivilprozessordnung und der Strafprozessordnung. Mit dem 1. Januar 1900 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt.

Kurz nach 1900 wurde am Amtsgericht die zweite Richterplanstelle geschaffen. Dem Bevölkerungsanstieg und der damit verbundenen Mehrarbeit wurde hierdurch Rechnung getragen. Gleichzeitig wurde, gegenüber dem Gerichtsgebäude, das sogenannte "Amtsrichterwohnhaus" gebaut.

Erwähnenswert ist, dass das alte Amtsgerichtsgefängnis, weit älter als das Amtsgericht selbst, am 31. Januar 1941 aufgelöst wurde. An seine Stelle trat am 2. Mai 1941 die Jugendarrestanstalt. In den fünfziger Jahren hielten sich dort durchschnittlich etwa zehn Jugendliche auf.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 erfolgte die Schließung der deutschen Gerichte. Das Bremervörder Amtsgericht wurde am 1. Dezember 1945 wieder geöffnet.

Die richterlichen Geschäfte nahm der Nachbarrichter aus Zeven wahr, bis im Jahre 1946 Oberamtsrichter Schulz als Richter eingesetzt wurde und im Jahre 1947 Amtsgerichtsrat Heitmann als Aufsichtsrichter das Amtsgericht sowie Oberlandesgerichtsrat Dr. Vogel als weitere Richter hinzutraten. Anfang der fünfziger Jahre hatte das Amtsgericht drei Richterplanstellen.

Zum Abschluss eine Anekdote über das Amtsgricht und seine Richter aus dem Festheft aus Anlass der 100-Jahr-Feier der Stadt Bremervörde aus dem Jahre 1952. Verfasser war der Lehrer Ernst Tiedemann: "Vor langen Jahrzehnten gab es in Bremervörde und Umgegend einmal eine betriebsame kleine Genossenschaft. Viele emsige Bürger- und Bauersleute gehörten ihr an. Und wie es denn so manchmal kommt, eines Tages war die kleine Genossenschaft pleite. Die Genossen sollten zahlen, der eine mehr, der andere weniger. Das Amtsgericht Bremervörde hatte eine diesbezügliche Liste zur Einsicht für die Beteiligten ausgelegt. Ein halbes Stündchen vor Beginn des Gerichtstermins meldete sich ein biederer alter Bauersmann; er wolle die Liste einsehen. Der Amtsrichter hatte sie schon an sich genommen. Widerwillig, aber pflichtgemäß rückte er sie schließlich heraus, worauf der Bauersmann sehr umständlich die Brille auf die Nase setzte und anfing, bedächtig darin zu blättern. Ein Blatte wurde umgewandt, noch eins und dann noch eins. Der Amtsrichter wurde ungeduldig, er schickte nach der Liste. Der Bauer aber ließ sich nicht stören. Er machte den Finger nass, und dann blätterte er von hinten nach vom ein Blatt, noch eins und dann noch eins. Schließlich wurde es dem Amtsrichter zuviel. Er bemühte sich höchstpersönlich und brachte die Liste mit kühnem Schwung an sich. Nun entspann sich folgendes Gespräch:

"Du, Herr Amtsrichter, dat hör sick nich, mi eenfach de List ünner de Näs wegtoteen!"

"Aber erlauben Sie mal, Herr Meyer, erstens beginnt in zehn Minuten der Termin, zum anderen verbitte ich mir, daß Sie mich hier mit 'du' anreden!"

"Herr Amtsrichter, ich will di mol wat seggen, ick seg to jeden Minsch 'du', ick seg sogor 'du' to minen lewen Gott!"

Heidemarie Gieschen, Amtsgericht Bremervörde

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